Online Lehre

Studieren aus der Ferne = Überwinden von Distanz

2 Menschen geben sich die Hand . Eine HAnd kommt aus dem Notebookbildschirm heraus.

Bei aller Liebe zu meinem heutigen Job: Das Wort Fernstudium verband ich früher stets mit Distanz. Lernende und Lehrende sitzen nicht am selben Ort. Ja, sie können tausende Kilometer voneinander entfernt und verstreut sein. Es besteht die Gefahr der Isolation – auf allen Seiten. Spätestens in meiner ersten Online-Lehrveranstaltung wurde ich zum Glück eines Besseren belehrt. Soviel Diskussion und intensiven fachlichen Austausch mit so vielen verschiedenen Leuten hatte ich in meiner ganzen eigenen Studienzeit an einer Präsenzuni nicht erlebt.

Leider geht es aber auch in Online-Kursen, die auf modernsten Technologien basieren, oft noch schlimmer zu als in einem Hörsaal bei einer total antiquierten Frontal-Vorlesung samt Overhead-Nutzung. Alle scheinen zu schlafen. Niemand beteiligt sich. Fragen bleiben unbeantwortet, die wenigen Postings Einzelner unkommentiert. Denn nur weil die Gelegenheit besteht, sich rund um die Uhr zu unterhalten, bedeutet das noch lange nicht, dass die Kommunikation über die Distanz auch tatsächlich funktioniert.

An der FernFH haben wir uns vorgenommen, Bildungsbarrieren abzubauen und das bedeutet in unserem Kontext eben auch, die Hürden der Online Kommunikation zu nehmen und den so genannten „Digital Divide“ zu überbrücken. Das bedeutet Chancengleichheit beim Einsatz von modernen Technologien im Bildungsbereich zu fördern sowie Kompetenzen für die Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten zu entwickeln.

Es ist eine zentrale und nicht gerade triviale Herausforderung in der Lehre, Räume online so einzurichten, dass individuelles und gemeinsames Lernen unterstützt und die Nachteile geringerer Zeiten für persönlichen face-to-face Austausch oder auch die fehlende nonverbale Kommunikation kompensiert werden.

Die Technologik in Online-Kursen: Die Möglichkeiten für intensive Online-Kommunikation sind grenzenlos

In Online-Kursen steht eine große Palette an technischen Hilfsmitteln zur Verfügung. Michael Moore und Greg Kearsley unterscheiden in ihrem anerkannten Handbook drei Interaktionsmodi:

  • „Learner to Content“: Die Auseinandersetzung mit Inhalten entlang von Materialien in Form von Videos, Podcasts, Glossaren, Quizzes, Texten, Bildern.
  • „Learner to Learner“: Der unmittelbare Austausch zwischen Studierenden untereinander via Chats, via Foren, via Blogs oder auch Wikis.
  • „Learner to Teacher“: Die Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden mittels Tools wie synchronen Online Meetings, persönlichen Videos, Webinaren oder asynchronen Diskussionsforen und e-mails.

Für alle angeführten Beispiele gibt es mittlerweile geniale technische Lösungen, mit deren Hilfe Distanzen überwunden werden können – und über deren vielfältige Einsatzmöglichkeiten ich gern in einem späteren Beitrag mehr erzähle.

Studierende können recht frei wählen, mit welchen Mitteln sie Kontakt aufnehmen wollen, um sich auszutauschen. Lehrende können durch die Wahl verschiedener Medien und Lösungen gezielt den unterschiedlichen Vorlieben der Studierenden entgegen kommen. Abseits der technischen Möglichkeiten liegt es vor allem an der jeweiligen Person, wie und ob die Möglichkeiten genutzt werden. Die technischen Möglichkeiten sind stets nur ein Vehikel und garantieren nicht, dass es zu einem lebendigen, begeisternden Austausch kommt oder sich eine Online-Community entwickelt, in der sich Studierende wohl und eingebunden fühlen – und in der sie nicht zuletzt auch gut lernen können.

Die Psychologik in Online-Kursen: Empathie als „missing link“

Was braucht es, um Distanz zu überbrücken, Barrieren abzureißen und Grenzen zu überwinden? An erster Stelle: Empathie. Studien zeigen jedoch leider, dass die technologische Vernetzung paradoxerweise von einer Abnahme des Einfühlungsvermögens begleitet wird. Wir alle, Studierende und Lehrende, sollten uns in Online-Kursen daher umso öfter die Frage stellen: Wie geht es dem Menschen auf der anderen Seite – an einem anderen Ort vor einem anderen Computer?

Online Studieren heißt sich öffnen und sichtbar werden

Studierende wünschen sich viel Kontakt zu ihren Peers und den Lehrenden. Sie lieben den informellen lockeren Austausch über den Beruf, über Fragen beim Lernen und darüber, wie unlustig es ist, den Freund_innen absagen zu müssen, weil schon wieder eine Prüfung ansteht.

Studierende haben häufig Hemmungen, sich zu öffnen, die eigene Meinung oder eine konstruktive Kritik zu formulieren, die eigene Position zu argumentieren und auch gegen Widersprüche zu vertreten. Das gilt natürlich auch für ein Präsenzseminar, aber im Internet verschärft sich dies noch, weil es viel leichter ist, „unsichtbar“ zu bleiben. Auch gibt es von Natur aus zurückhaltende oder ängstliche Persönlichkeiten, die lieber beobachten und zuhören, sich nicht so gern mit Persönlichem herauswagen. Und es gibt Studierende, die schlichtweg keine Lust haben, sich zu beteiligten, die lieber zuwarten bis andere Beiträge schreiben und die auf ein Trittbrett zum Mitfahren warten.

Neues lernen heißt insbesondere in Online-Räumen etwas riskieren und die Grenze zwischen dem inneren Selbst und dem öffentlichen Selbst überschreiten: Wenn ich eine Frage hinschreibe, wird sichtbar und dokumentiert, dass ich etwas nicht verstehe, dass ich Hilfe brauche und ohne eine klärende Antwort gerade nicht weiterkomme. Das erfordert Mut und Überwindung.

Online Lehren heißt Technik und Menschen „verkuppeln“

Die Fortschritte bei der Etablierung der Online-Lehre an österreichischen Hochschulen sind noch überschaubar. Das liegt zum Teil am Beharrungsvermögen der Bildungspolitik und der Hochschulorganisationen, aber auch daran, dass viele Lehrende sich nur langsam für die Nutzung von E-Learning erwärmen können und es ihnen auch an Unterstützung fehlt.

Tatsächlich zeigt sich, dass es gar nicht einfach ist, neben der fachlich inhaltlichen Gestaltung, auch die erprobten Kommunikations- und Moderationskompetenzen aus der Präsenzlehre in den Online Raum hinüberzuretten. Lehrende können nicht unmittelbar erkennen, ob gerade alle einschlafen, die gelangweilt Augen verdrehen oder aber interessiert und motiviert am Lernen sind. Daher gilt es aktiv Fragen zu stellen, die Themen und Lernziele anzukündigen, auch wenn sie schon im Syllabus und den Lehrmaterialien stehen. Es gilt, persönliche Präsenz zu zeigen und immer wieder neu einen lebendigen Austausch anzufachen und zu moderieren.

Manche Lehrende vermissen online noch die Energie und Interaktivität im Vergleich zur Präsenz, andere vermissen ihre Bühne, den spontanen Witz und Humor, der unsere menschlichen face-to-face Kontakte so unwiderstehlich macht. Bei der Begleitung von Online Studierenden wird auch Hierarchie – nein, nicht Autorität! – abgebaut und man begibt sich in eine dienende Rolle, bestenfalls in eine Coachingrolle. Es gilt genau hin zu hören, was Studierende schreiben, und es ist auch einmal notwendig, zwischen den Zeilen zu lesen und daraus schlau zu werden, nur um dann erst wieder nachzufragen. Ja, online sind Lehrveranstaltungen intensiver zu planen, sehr gut vorzubereiten und sehr aufmerksam zu betreuen.

Jedes Mal, wenn es uns gut gelingt, technologische und menschliche Distanzen zu überwinden, warten schöne berufliche Erfahrungen, Überraschungen und vor allem neue Erkenntnisse auf uns. Es eröffnen sich neue Wege in der Welt des Lehrens und Lernens. Aber das ist schon eine nächste Geschichte …

Literaturlinks:

  • Moore, Michael, & Kearsley, Greg (1996). Distance education: A systems view. Belmont, CA: Wadsworth Publishing
  • Konrath, Sara (2013). The empathy paradox: Increasing disconnection in the age of increasing connection. In Handbook of Research on Technoself: Identity in a Technological Society, Rocci Luppicini (Ed.),(p.204-228) IGI Global
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5 thoughts on “Studieren aus der Ferne = Überwinden von Distanz

  1. Tolle Auseinandersetzung mit dem Thema! Es ist äußerst schade, dass sich immer noch so viele Lehrende und Hochschulen gegen die zahlreichen Möglichkeiten von E-Learning entscheiden. Man hat vor allem zu oft das Gefühl, einige Lehrende scheuen den Austausch mit den Studierenden. Allgemein sollte mehr konstruktiver Diskurs zwischen Lehrenden und Studierenden stattfinden. E-Learning bietet hierfür eine gute Möglichkeit.

    1. Danke Victoria für Deinen Kommentar! Ich finde auch, dass uns das E-Learning sehr bei einem intensiveren Austausch unterstützen kann! Das Thema Online Kommunikation ist mittlerweile ein richtiges Lieblingsthema von mir geworden 🙂

  2. Danke christa für den klugen Beitrag, der die Chancen und den Reiz von onlinelehre deutlich macht ohne die technischen Möglichkeiten zu idealisieren.
    ja, letztlich ist es wohl tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als ein empathischer, engagiertere und am Gegenüber interessierter Zugang, der über den Erfolg von Onlinelehre – nicht anders als in der traditionellen f2f-Lehre entscheidet.

    1. Danke, für Deinen Kommentar Georg!
      Ja, den derzeitigen Diskurs beobachtend, drängt sich schon der Eindruck auf, dass sich alles um die technische Gestaltung dreht und dabei leicht auf die unersetzliche Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Studierenden „vergessen“ wird. Grade jetzt, wo viele Lehrende in der Online-Lehre Neuland betreten, geht es doch als erstes um die Lernziele und die sind vielleicht mit dem aufmerksamen Studium eines Textes und dem Verfassen eines Diskussionsbeitrags in einem Forum weit besser zu erreichen als mit einem aufwendig erstellten Videovortrag ;-).

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