Jede Veränderung, jeder Schritt in die Zukunft birgt etwas Unbekanntes, etwas oft nicht Berechenbares. So auch unsere selbstgeschaffenen technologischen Neuerungen, von denen wir als potenzielle Nutzer:innen bei ihrer Erfindung oder Einführung mitunter nicht sofort wissen, wie wir damit umgehen sollen, entweder auf der Ebene des Individuums, der Organisation oder der Gesellschaft.
Wie mag es dem Schachweltmeister Garry Kasparov gegangen sein, als er seinen intellektuellen Wettstreit gegen das Schachprogramm Deep Blue austrug? Schach ist eine Sportart, die wohl am besten symbolisiert, wie sich ein komplexe, ungewisse und variantenreiche Zukunft – Zug um Zug – darstellen kann. Laien kalkulieren in Anbetracht der Möglichkeiten hier eventuell einen Zug im Voraus, Amateur:innen eventuell ein paar mehr, ja und Schachweltmeister:innen oder Profi-Schachspieler:innen, „who knows“. Jedenfalls sind all jene Menschen, die versuchen den Schacholymp zu besteigen, für das Schlagwort Deep-Thinking im Rahmen des 64-Felderspiels der lebende Beweis. Im Falle Kasparov´s obsiegte 1996 am Ende noch der Mensch gegen die Maschine (Endstand 4:2)1.
Aus Science-Fiction wurde teilweise Ernst und Realität.
Eine Maschine konnte konstruiert werden, die erfolgreich auch menschliches Verhalten nachstellt und sich mit dem menschlichen Intellekt auf Schach-Großmeister:innen-Level messen kann. Zum Glück müssen wir nicht fürchten, dass der Terminator, iRobot, die Matrix und Co. jetzt aber baldige Realität werden, auch wenn Hollywood uns das manchmal eindrucksvoll und visuell ansprechend weißmachen möchte.
Künstliche Intelligenz als die nächste logische Etappe?
Der Reiz, sich mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens auseinander zu setzen, mag vielfältig sein. Fest steht, dass dieses Thema die logische nächste Etappe der Informations- und Digitalgesellschaft sein muss. Wie anders sollen die Menschen dem durch die Digitalisierung verursachten Datenreichtum – manche sagen Datenflut – begegnen oder zumindest lernen, damit umzugehen? Wie sollen wir im Rahmen der Allgegenwärtigkeit unzähliger Informationen sinnvoll und rational Entscheidungen fällen? Wie eruiert ein Schachweltmeister:innen den besten nächsten Zug? Fragen, deren Beantwortung wir erst finden müssen. Fest steht, dass der Mensch mit seinen kognitiven Mitteln nur sehr eingeschränkt zu sogenanntem Deep-Thinking fähig ist. Eine genaue Definition für den Begriff Deep-Thinking existiert noch nicht, aber halten wir einmal fest, dass all jene die zu tiefem Denken neigen, alles bis ins mögliche Detail analysieren. Diese Menschen wollen den Sinn hinter den Dingen verstehen und nehmen sich gerne Zeit für die Verarbeitung von Informationen (auch wenn es große Datenmengen sind).
Die klaglosen Maschinen
Im Bereich des Deep-Thinking sind Computer und Algorithmen aufgrund ihrer Rechenleistungen und klaglosen, nie ermüdenden datenwühlenden Prozedurabarbeitung die wohl besseren Kandidat:innen. Künstliche-Intelligenz, maschinelles Lernen und Deep-Thinking sind also nicht nur Buzzwords oder temporäre Hypes, sondern wie schon erwähnt höchstwahrscheinlich die nächste Stufe der Digitalisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft. Die Digitalisierung kennzeichnet sich derzeit schon auffällig durch User:innen-verursachte und automatisierte Erstellung, Verarbeitung und Weiterleitung von digitalen Daten. Dabei werden große Datenmengen angehäuft, die wir als Menschen ohne Hilfsmittel gar nicht mehr bewältigen oder bearbeiten können. Um es mit den Worten von Paul Watzlawick (1987) zu formulieren und zu karikieren: Die Lösung ist gleichzeitig das Problem.
Fernstudieren als organisatorische Herausforderung
Es ist aber nur insofern ein Problem, als dass wir wohl einfach noch nicht so recht herausgefunden haben, was in Anbetracht der Informationsfülle zu tun ist. Auch im Rahmen eines digitalen Fernstudiums liegt zunächst eine unüberschaubare Datenlage vor. Dies kann man sowohl aus organisatorischer als auch inhaltlicher Perspektive betrachten. Daher experimentieren die Studierenden zu Beginn ihres Studiums mit diversen Zeitmanagement- und Organisationsmethoden. Sie versuchen sich Listen zu erstellen, wann etwas zu bearbeiten, zu erledigen oder abzugeben ist. Es werden Lern-, Dokumenten- und Wissensverwaltungssysteme geprüft und organisiert. Das ganze manchmal bis an die Grenzen der eigenen Informationsbelastbarkeit in der jeweils beruflichen, privaten und studientechnischen Konstellation. Letztlich finden die erfolgreich Studierenden eine Strategie in Abwägung aller persönlicher Faktoren, die ihnen hilft für jeden Zug oder Schritt die richtige Entscheidung zu treffen. Interessant dazu ist auch der Beitrag meiner Kollegin Tanja Adamcik (Link).
Fernstudieren mal kontrafaktisch und futuristisch gedacht
Denken wir jetzt aber einmal bewusst kontrafaktisch: Was wäre, wenn … den Studierenden zu Beginn des FernFH-Studium nicht nur ein Studierendenausweis und ihre Zugangsdaten zum Online-Campus ausgehändigt würden, sondern auch ein maschineller Assistent. Über die kommenden Semester könnte sich ein Mensch-Maschine-Team entwickeln, das sich gegenseitig bereichert und voneinander lernt, z.B. im Kontext von Lernorganisation, Wissensorganisation oder Zeitmanagement. Das Maschinen-System hätte Zugriff zu einem großen Datenschatz aus vorangegangenen Semestern und Absolvent:innen. Es hätte Analysen zu erfolgreichen und weniger erfolgreichen Lern- und Organisationsstrategien bereits getätigt und könnte auf Basis dessen Entscheidungsfindungsprozesse, in denen sich die Studierenden laufend befinden, begleiten. Das Maschinenassistenzsystem könnte die Studierenden beraten, ob ein baldiger Meilenstein zügig zu bearbeiten ist oder ob man in Anbetracht anderer Prioritäten eventuell noch eine Fertigstellung hintenanstellen könnte. Es könnte auf Basis des Lernverhaltens und Lernerfolgs Tipps und Trick für zukünftige Prüfungssituationen vorschlagen. Es könnte sprachgesteuert das Studierenden-e-Portfolio pflegen und Zusammenfassungen schreiben, ähnlich wie uns Apple-Geräte automatisch unsere Urlaubsvideo zusammenschneiden. Und noch vieles mehr, der Fantasie sind hier sicherlich keine Grenzen gesetzt.
Nicht den Kopf in den Sand stecken
In einer von Komplexität und Informationsfülle geprägten Zeit sollte man Künstliche-Intelligenz-System auf dem Radar haben und diese eventuell als Möglichkeit einer nicht so fernen Zukunft betrachten. Sowohl aus der Datenbewältigungs- als auch Entscheidungs-Perspektive können neue Mensch-Maschine-Teams entstehen, in denen Deep-Thinking beide Parteien begleitet. Praktische Implikationen dieser neuen Technologie – egal in welchem Kontext – werden sich aus unseren Problemen als auch neuen Anforderungen ergeben. In diesem Sinne lohnt sich eine Reflexion, wie wir derzeit unsere Entscheidungsprozesse gestalten und dies zukünftig zu tun gedenken.
Heute schon eine Runde Schach2 gespielt? Gegen einen Menschen oder gar eine Maschine? 😊
1) Garry Kasparov versus Deep Thought Documentary – abgerufen 09.11.2022 Link
2) Gratis Schachplattform – www.lichess.org