Was bedeutet „normale“ Lehre? Was ist „normal“? Nach der Meinung vieler Menschen: Normal ist was die meisten Leute tun. Alle anderen Sachen sind einfach anders.
Auch bei der Lehre ist das so. Wenn man täglich – oder mindestens viermal in der Woche – auf die Fachhochschule (FH) fährt, ist das normal. Wenn man nur dreimal im Semester zur FernFH fährt, ist es einfach anders. Das sind wir.
Unsere Lehre ist die Fernlehre.
Ich war 13 Jahre lang in der „normalen“ Lehre tätig. Jeden Tag war ich an der FH, habe meine Vorlesungen, Programmierstunden oder etwas ähnliches gehalten. Das heißt: um 6:00 in der Früh aufstehen, um 7:30 in der Arbeit sein, bis 15:00 Uhr unterrichten. Dann natürlich noch Tests verbessern, ein paar Fragen beantworten, Bachelorarbeiten betreuen usw. Jeden Tag, von Montag bis Freitag.
Heute bin ich nicht mehr in der „normalen“ Lehre tätig, sondern in der Fernlehre. Das schaut ganz anders aus, da die Studierenden nur sechs Tage im Semester an der FernFH anwesend sind.
Oder doch nicht?
Ich stehe um 6:00 auf, um 7:30 bin ich in der Arbeit. Ich arbeite zirka bis 16:00 Uhr. Jeden Tag, von Montag bis Freitag. Gibt es dann einen Unterschied? Ja. Ich halte nicht jeden Tag Vorlesungen, Programmierstunden oder etwas ähnliches.
Bei der „normalen“ Lehre sind in einem Kurs mindestens 25 Studierende. In diesem Fall hat man zwei Optionen:
- während des Programmierens entweder alle Fragen beantworten und fast gar nicht im Stoff weiterkommen, oder
- fast keine Fragen beantworten und im Stoff einfach weitergehen.
Beides ist keine gute Lösung. Wir haben uns darüber noch keine Gedanken gemacht, dass die Studierenden unterschiedliche Niveaus im Programmieren haben …
An der FernFH habe ich oft 80 statt 25 Studierende. Aber diese 80 Studierenden lernen alles selbst. Einige erst in der letzten Woche, andere schon ab der ersten Woche des Semesters.
Die Zeit können sie sich selbst einteilen, und sie können jederzeit Fragen stellen.
Es gibt die Möglichkeit, die Unsicherheiten untereinander zu besprechen, oder mich zu fragen. Dafür bin ich da.
Meine Aufgabe ist es, die Studierenden zu unterstützen.
Egal ob sie den Stoff in einer Woche oder in drei Monaten durcharbeiten können. Natürlich müssen es alle bis zur Prüfung schaffen.
Ich habe jetzt einen großen Vorteil, der in der „normalen“ Lehre nicht möglich war: es gibt endlich Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden. Es gibt genug Zeit, Fragen zu beantworten, neue Beispiele auszuarbeiten, sofortiges Feedback zu geben. Wenn Wichtiges fehlt, kann ich per Skype auch wöchentlich Vorlesungen anbieten.
Jede_r Studierende kann im eigenen Tempo weitergehen, muss keinen Stress wegen Fragen haben, sich Sorgen machen was die anderen glauben, wenn sie etwas fragen, …
Komischerweise hatte ich während der 13 Jahre in der „normalen“ Lehre viel weniger Kontakt mit meinen Studierenden gehabt, als im letzten Jahr an der FernFH – trotzdem wir uns jede Woche gesehen haben.
Das macht mich glücklich.
Ich kann Studierende jetzt richtig unterstützen und nicht nur lehren. Kann ihnen die Kenntnisse, die sie brauchen, vermitteln.
Ich hoffe, dass das meine Studierenden auch glücklich macht und viel Freude beim Lernen bringt!
Wir haben aber jetzt eine Sondersituation….
Seit Montag 16.03.2020 dürfen aufgrund der Situation in Zusammenhang mit COVID-19 keine Studierenden mehr im Hochschulbereich vor Ort zu sein. Sie müssen alles von zu Hause erledigen. Kein Frontalunterricht, keine Präsenzveranstaltungen, keine persönlichen Gespräche mit den Betreuer_innen und/oder Studienkolleg_innen.
Das ist eine sehr spezielle Situation.
Die Studierenden müssen sich darum kümmern, alles alleine zu besorgen und zu erledigen.
Die Lehrenden müssen alle Lernunterlagen irgendwie den Studierenden mitteilen, Skype oder Teams Gruppen erstellen, statt persönliche Kontakte alles online machen.
Für uns an der FernFH ist das eigentlich ganz normal.
Oder doch nicht? Wir dürfen auch nicht mehr an die FernFH gehen, wir müssen von zu Hause arbeiten. Natürlich vermisse ich meine Kolleg_innen sehr. Es ist schön zu Hause zu sein, aber man braucht soziale Kontakte. Wenn ich dieses Gefühl habe, mache ich einen Kaffee für mich, und skype mit meinen Kolleg_innen. Wir trinken gemeinsam einen Kaffee. 🙂
Von der Arbeitsseite her ist es eigentlich nicht anders. Ich bereite meine Online-Tests vor, ich betreue meine Studierenden, wie immer – ONLINE.
In unserer Arbeit gibt es zum Glück keine Pause, keine große Besonderheit – außer, dass unsere FernFH am 17.03.2020 die ersten Online-Abschlussprüfungen in Österreich erfolgreich durchgeführt hat. Sonst läuft alles, wie gewohnt.
Das klingt gut, abseits und diesseits der Normalität ! 🙂 und bei the way: es gibt auch keine „normierten“ Studierenden
Danke für den Kommentar.
In der Tat ist ja Normalität „erwartungsgemäßes Verhalten“. Wir erwarten von unseren Studierenden hauptsächlich Interesse am Studium. Mit der Neugierde kommt dann auch die Erkenntnis. 🙂
Hallo Eszter,
danke für deinen tollen Beitrag.
Mittlerweile ist es bei mir 12 Jahre her, als ich mit dem FernFh-Studium begann. Was damals völlig neu, ja fast utopisch war, ist heute ganz selbstverständlich. Seit einigen Jahren bin ich Lektor an einer Präsenz-FH. Die Corona-Krise erfordert nun von allen Lehrenden und Studierenden den Einsatz von Distance Learning.
Damals als Studierender war ich stolz einer der ersten zu sein, der ein so fortschrittliches Studium absolvieren durfte. Heute freut es mich ganz besonders diesen Fortschritt nicht nur als zusätzliche Option für ein Studium zu sehen, sondern als Notwendigkeit im studentischen Alltag einsetzen zu dürfen.
Frei nach dem Satz, „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans heute online“ wünsch ich für die Zukunft vor allem Gesundheit und dass wir auch weiterhin viel Wissen aus der Ferne (bspw. aus der Fern-FH) erfahren dürfen.
Liebe Grüße,
Wolfgang
Danke für den Kommentar.
Es ist immer spannend sowohl die Sicht eines Studierenden als auch die eines Lehrenden zu kennen. Einige Aspekte der Fernlehre sind in dieser Form des Lehrens doch anders. Für uns ist und war auch vor Corona digitale Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil. Umso mehr freut es uns, wenn wir jetzt diese Expertise teilen dürfen.