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Gut zu wissen: Warum es Typologien wie das Generationenmodell braucht, worauf man aber achten sollte.

Pong

Ein Blick in die Forschungsprojekte der FERNFH verrät, dass Generationen ein aktuelles und wichtiges Thema sind. Wie können unterschiedliche Generationen motiviert werden? Welches unterschiedliche Führungsverständnis erfordern gegenwärtige Generationen? Wie unterscheiden sich Generationen hinsichtlich ihres Kaufverhaltens? Man merkt schon, die Zugehörigkeit zu einer Generation ist Erklärung für vieles. Das Verständnis, dass jede Generation hinsichtlich ihrer Werte, Motive und Bedürfnisse sich sowohl von der vorhergehenden als auch nachfolgenden abgrenzt, enthüllt Einflüsse und Zusammenhänge auf verschiedenste z.B. im Personalwesen oder Marketing nutzbare Sachverhalte.

Generationen als wiederkehrende Abfolge von Jugend

Unser Generationenbegriff findet seinen Ursprung beim österreichisch-ungarischen Soziologen Karl Mannheim. In seiner Publikation „Das Problem der Generationen“ (1928) forderte er, Generationen nicht länger bloß durch die biologisch determinierte Abfolge von Geburtsjahrgängen zu ordnen. Vielmehr sind es die gemeinsamen Erlebnisse und deren Bewältigung, die verbindend wirken. Die immer wiederkehrende Abfolge neuer Jugendgenerationen und ihre unterschiedlichen Verhaltensmuster befeuern auch den gesellschaftlichen Wandel.

Von den Baby Boomer bis zur Generation Alpha

Die Generation der Baby Boomer war bestimmt vom Wiederaufbau sowie Friedens- und Umweltbewegungen der 1980’er. Die Jugend der Generation X wurde vom technologischen Fortschritt, aber auch Umweltkatastrophen (z.B. Ozonloch, Tschernobyl) und wirtschaftlichen Krisen begleitet. Die Generation Y war mit hohen Unsicherheiten (z.B. 9/11, Jugendarbeitslosigkeit) konfrontiert. Für sie ist Arbeit auch nicht mehr zentraler Lebensinhalt, die Work-Life-Balance gewinnt an Stellenwert. Die Generation Z ist geprägt von einer fortschreitenden Digitalisierung (z.B. mobile Technologien, soziale Netzwerke). Das Streben nach Individualisierung und eigener Zufriedenheit wird bevorzugt, die Bedeutung der Erwerbsarbeit nimmt weiter ab. Als jüngster Begriff findet sich die Generation Alpha, deren zukünftige Lebenswelten wohl völlig von der Digitalisierung durchdrungen sein werden.

Das Problem mit dem Begriff am Beispiel der Digital Natives

Die Generationenbezeichnungen haben sich im allgemeinen Sprachgebrauch verankert, ihre Einteilung ist zwar einfach, aber nicht widerspruchsfrei. Das Bestreben, neue Generationen auszurufen und zu beschreiben, beruht häufiger auf ökonomisch verwertbaren, denn soziologischen Motiven. So kommt es auch vor, dass innerhalb einer Beschreibung kein Konsens über Bezeichnung, gemeinsame Erlebnisse oder Wertesysteme existiert. Beispielsweise beanspruchen die Digital Natives sowohl die Generation Z, als auch Teile der Generation Y. Diese von Marc Prensky (2001) eingeführte Begrifflichkeit beschreibt eine Kohorte, bei der digitale Technologien integraler Bestandteil ihrer Jugendbiografien sind. Die Fähigkeit Digitalisierung zu beherrschen, wurde ihnen (als quasi Ureinwohner_innen einer digitalen Welt) in die Wiege gelegt. Alle vorangegangenen Jahrgänge sind in die digitale Welt lediglich eingewandert und müssen sich die damit verbundenen Erfordernisse erst aneignen (Digital Immigrants).

Digital Natives oder Digital Immigrants?

Die Trennung zwischen Natives und Immigrants birgt, obgleich populär und häufig in Medien weitergetragen, berechtigten Anlass zu Kritik. Denn jede Generation durchlebt in ihrer Jugend ihre eigenen Medienerfahrungen. Waren Fernsehen und MTV fester Medienbestandteil der Generation X, sind es Internet und Smartphone für die Jüngeren. Ungeachtet des technologischen Fortschritts braucht es sowohl beim einen als auch dem anderen dieselben Kompetenzen: das Wissen darüber, den kritischen Umgang damit und die Fähigkeit der (Mit-)Gestaltung. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren, verändert aber auch bestehende. Technischen Strukturen kommt jedenfalls eine wesentliche Rolle zu. Dabei ist es egal, ob der Kontakt mit digitalen Medien bereits im Jugendalter stattfindet oder – wie beispielsweise im Falle der Generation X – häufig erst im späteren (Berufs-)Leben. Das bloße Aufwachsen damit führt jedenfalls nicht zu einem automatischen, beiläufigen Erwerb erforderlicher Kompetenzen, um sich in der Digitalisierung beheimatet zu fühlen. Hier ist das Konzept der Digital Natives nicht ausreichend kritisch. Es  vernachlässigt die Tatsache, dass auch jede junge Generation den Umgang mit der Digitalisierung erst für sich entdecken und erlernen muss (Schulmeister, 2008; Jenkins et al., 2009; Hepp et al., 2012).

Idealtypisch aber nicht real

Ich selbst zähle mich zu den X’lern. Dennoch waren bereits im Volksschulalter (Heim-)Computer und Videospielkonsole für mich liebgewonnene Spielzeuge. Anders als heute, brauchte die grafische Darstellung in Computerspielen damals noch die eigene Fantasie. Wie sonst hätte ich einen klobigen, geraden Strich als Tennisspieler_in und einen rechteckigen Punkt als Ball erkennen können? Wie viele andere meines Jahrgangs und Freundeskreises bin ich mit Computertechnologie groß geworden, auch wenn wir das noch nicht als Digitalisierung wahrgenommen haben. Dennoch wäre ich nach Marc Prensky’s These ein Digital Immigrant, kein Digital Native. In erster Linie ein konzeptioneller Widerspruch, aber auch ein Problem kategorialer Typologien: die Beschreibung idealtypischer, nicht realer Formen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sie „da draußen“ abgewandelt oder in Kombination auftreten.

OK Boomer

Diesem Beispiel zum Trotz, eine modellhafte Typisierung, auch die der Generationen, ist korrekt und sinnvoll. Für die (wissenschaftliche) Analyse ist sie unverzichtbares Instrument, da erst diese Form der Vereinfachung es ermöglicht, komplexe Realitäten zu beschreiben, zu erklären und miteinander vergleichen zu können. Vorsicht ist dennoch geboten, da gerade die Vorstellung einer „reinen“ Existenz von Typen die Gefahr eines klischeebehafteten Denkens birgt. Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass wenn Menschen in „Generationenschubladen“ gesteckt werden, dies gesellschaftliche Differenzen reproduziert und hervorbringt. Dadurch können sich Memes wie „OK Boomer“ rasch verbreiten, obgleich sie das stereotype Bild einer engstirnigen, belehrenden und herablassenden älteren Generation transportieren. Und natürlich sind Handlungsfreiheit, Sicherheit, Zugehörigkeit und Wertschätzung für die Generation Z zentrale Voraussetzungen einer attraktiven Arbeitsstelle, für uns andere (ältere) aber nicht minder (siehe dazu auch den Blogbeitrag von Christa Walenta). Um nicht in den Kanon einfach kommentarloser Wiedergabe miteinzustimmen, braucht es die Erkenntnis, auch bewährte und bereits im Alltagswissen etablierte Modelle zu hinterfragen.

Die Leistungsfähigkeit und die Einschränkungen von Typologien

Wenn Sie also das nächste Mal ein typologisches Modell verwenden, egal ob in einer Forschungsarbeit oder in einem Alltagsgespräch, denken Sie auch darüber nach, was davon eigentlich nur theoretische Erklärung ist und was tatsächlich die Realität beschreiben kann. Bleiben Sie kritisch und fragen Sie nicht nur nach der Leistungsfähigkeit einer Typologie, sondern auch nach ihren Einschränkungen. Im Studium an der FERNFH haben Sie diese Kompetenz erworben.

Quellen

Hepp, Andreas/Berg, Matthias/Roitsch, Cindy (2012). Die Mediatisierung subjektiver Vergemeinschaftungshorizonte: Zur kommunikativen Vernetzung und medienvermittelten Gemeinschaftsbildung junger Menschen. In Krotz, Friedrich & Hepp, Andreas (Hrsg.), Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden: Springer VS, S. 227-256.

Jenkins, Henry/Purushotma, Ravi/Weigel, Margart/Clinton, Kathi/Robinson, Alice J. (2009). Confronting the challenges of participatory culture: Media education for the 21st century. Cambridge MA: MIT Press.

Mannheim, Karl (1928) Das Problem der Generationen. Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, 7, S. 157-184. Prensky, Marc (2001), Digital Natives, Digital Immigrants. On the Horizon, 9(5), S. 1-6. Schulmeister, Rolf (2008). Gibt es eine Net Generation? Widerlegung einer Mystifizierung. In: Seehusen, S., Lucke, U. & Fischer, S. (Hrsg.), DeLFI 2008: Die 6. e-Learning Fachtagung Informatik. Bonn: Gesellschaft für Informatik e.V.. (S. 15-28).

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