Immer wenn die persönlichen Aufnahmegespräche im Studiengang laufen, erfahre ich vieles über die maßgeblichen Beweggründe, ein Fernstudium anzugehen. Heuer hatte ich den Eindruck Corona hat einen Aspekt unseres Studienangebotes besonders prägnant zum Leuchten gebracht. Die verpflichtenden Präsenztage vor Ort, zwischen den betreuten Onlinephasen, werden fast von allen erstmals – nicht nur als etwas Notwendiges, sondern als etwas ganz Positives angesprochen.
Präsenzphasen als „soziale Klammer“
Bei der Fülle an Angeboten am privaten und freien Bildungsmarkt, welche die totale Flexibilität als USP (unique selling proposition – Alleinstellungsmerkmal) hervorheben, ist das für mich bemerkenswert. Wir pflegen in unserem Blended Learning Konzept konsequent drei Präsenzphasen im Semester, wo alle zusammenkommen. Wir sehen darin auch den Wert als „soziale Klammer“ in unserer didaktischen Konzeption (siehe dazu auch Blogbeitrag Herbert Schwarzenberger). Denn es geht eben nicht mehr vorrangig darum, mit der größten Freiheit zu entscheiden, ob man ein Studium jederzeit allein starten kann, oder wie, wann und wo man täglich lernt. Vielmehr haben zwischenzeitlich viele erkannt, wie sehr sie es brauchen zu einer Gruppe, einem Team, einem Jahrgang zu gehören, Leute kennenzulernen, sich auszutauschen, sich selten aber doch persönlich physisch treffen zu dürfen. Die fixen und damit gut planbaren Face2Face-Tage sind also ein großes Thema, ein entscheidendes Motiv für ein Studium an der FernFH.
Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit
Als Psychologin weiß ich: Hier geht es um das zentrale Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit. Das Gefühl ein Teil einer Community zu sein, Ansprechpersonen zu haben, die man kennt, denen man vertrauen kann, ein Team zu haben – nicht nur für fachliche Fragen, sondern auch um über Lernprobleme und -techniken, über scheinbar Unwichtiges, Nebensächliches, vielleicht Alltägliches reden zu können. Die Möglichkeit zu haben, sich auch mal vergleichen zu können, denn daraus leiten wir alle Informationen über den eigenen Selbstwert ab. Das sind nicht nur „private“ Bedürfnisse – es sind nicht nur profane Wünsche, nein, es sind fundamentale Voraussetzungen für Motivation und Erfolg.
Die Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan
Als Lehrende und Wissenschaftlerin stelle ich daher den neuen Studierenden schon zu Beginn die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (2008) vor, die – wie kaum eine andere Motivationstheorie – überzeugende und praktisch nutzbare Hinweise darauf gibt, worauf es ankommt, damit wir motiviert lernen und arbeiten können. Im Prinzip gilt das für das Studieren ebenso wie für unsere Motivation am Arbeitsplatz.
Wir alle streben nach der Befriedigung dreier psychologischer Grundbedürfnisse:
- Autonomie (ich kann selbst bestimmen, wann und insbesondere wie ich eine Aufgabe erledige),
- Kompetenz (ich kann erkennen, was ich kann und dass ich erfolgreich bin und neues Wissen praktisch anwenden kann) und die
- soziale Eingebundenheit (ich bin Teil einer Community, kann Beziehungen pflegen, kann mich auf andere verlassen, wenn ich Hilfe und Unterstützung brauche, wenn ich einmal „down“ bin, weil mir alles zu anstrengend wird).
Auf Basis dieser Erkenntnisse gestalten wir unser Studienangebot, unser Blended Learning Konzept. Es umfasst in der Planung und Umsetzung immer genug Angebote zur Befriedigung der „basic needs“: Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit.
Ein Modell auch für Unternehmen
Eigentlich ein Modell, das auch in den Managementebenen von Unternehmen viel mehr Verbreitung finden sollte. Dort scheinen so manche jetzt leider wieder retour zu rudern, das Distance-Remote-Homeoffice-Arbeiten gern wieder möglichst eindämmen zu wollen, so erzählen mir das zumindest meine Bewerber_innen, die in vielfältigen Branchen arbeiten. In Zeiten des Fachkräftemangels und der „händeringenden Suche“ nach gutem Personal ist das keine gute Idee.
Soziale Eingebundenheit im Unternehmen – wenn man sie lässt
Die heurigen Studienbewerber_innen haben jedenfalls sehr viel für Ihre berufliche Arbeit durch Corona gelernt und sind perfekt vorbereitet auf ein Fernstudium mit möglichst „kleinem, aber feinem“ vor-Ort Präsenzanteil. Sie sind imstande remote zu arbeiten, sie können virtuell Besprechungen leiten und Projekte im Team abwickeln, sie können Weiterbildungen ohne Probleme online absolvieren, selbständig lernen und übernehmen Verantwortung für ihre beruflichen Aufgaben und Ziele. Sie sind fleißig. Sie wissen mehr denn je um die Bedeutung der Freiheit und Autonomie, die notwendig ist um motiviert an Aufgaben dranzubleiben. Sie brauchen und schätzen die soziale Eingebundenheit in ein Unternehmen, in ihr Team mehr denn je, können aber sehr gut selber einschätzen, wann ein Vor-Ort Treffen erforderlich ist und wann Sie besser im Homeoffice arbeiten – „wenn man sie lässt“.
Egoistisches Kontrollbedürfnis?
Bleibt zu hoffen, dass auch die Manager_innen gelernt haben und nicht auf die Idee kommen, die Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten und zum Homeoffice aus einem egoistischen Kontrollbedürfnis heraus, wieder rigoros einzuschränken und auf überholte Konzepte wie der Karotte vor der Nase zu setzen, wenn es um Motivationsförderung geht.
Unsere Alumnis der Betriebswirtschaft & Wirtschaftspsychologie werden dieses Wissen und ihre Erfahrungen mit dem selbstregulierten Distance-Learning jedenfalls in die Arbeitswelt hinaustragen, hinein in die Unternehmensleitungen, in denen sie hoffentlich bald selbst sitzen.
Viel Erfolg dabei an alle heurigen Absolvent_innen 2022 und herzlich willkommen an den neuen Jahrgang!
Referenzen:
Edward L. Deci, & Richard M. Ryan (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health, S. 183. In: Canadian Psychology 49, 182–185